Im Interview verrät die Soziologin und Leiterin der Nachwuchsforschergruppe KONTIKAT Marén Schorch, wie Corona unsere Gewohnheiten verändert und welche Erkenntnisse wir aus der Pandemie für zukünftige Ereignisse ziehen können.

Frau Dr. Schorch, im Projekt KONTIKAT beschäftigen Sie sich mit der Frage, wie Zivilgesellschaft und kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) Krisen und Schadensereignisse gut bewältigen und wieder zum normalen Leben zurückfinden können. Um welche Arten von Ereignissen geht es genau?

Wir beschäftigten uns schwerpunktmäßig mit Ausfällen kritischer Infrastrukturen (KRITIS) wie zum Beispiel Strom, Informations- und Kommunikationstechnik (IKT), aber auch der Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung. Hierbei konzentrieren wir uns auf die Region Siegen und untersuchen in qualitativen Interviews, Beobachtungen und Bevölkerungsumfragen, welche Erfahrungen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen mit Krisensituationen bereits gemacht haben.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Im Oktober 2018 führte ein Wasserrohrbruch in einer Hauptleitung zu einem knapp einwöchigen Ausfall der kompletten Wasserversorgung für 7000 Privathaushalte und lokal ansässige Unternehmen wie einer Großbrauerei. Im Projekt erforschen wir, welche Auswirkungen derartige Ereignisse auf den Alltag der Menschen und die Betriebsabläufe von KMU haben und wie diese sich besser auf Krisensituationen vorbereiten können.

Welche Vorkehrungen können Unternehmen für das Szenario eines langanhaltenden Stromausfalls treffen?

Grundsätzlich sind regelmäßige Schulungen und Übungen für mögliche Ausfallszenarien wichtig, die möglichst konkret an den Bedarfen und Gegebenheiten des jeweiligen Unternehmens ausgerichtet sein sollten. Gerade KMU stehen jedoch meist nicht dieselben Ressourcen zur Krisenvorsorge wie Großunternehmen zur Verfügung. Im Rahmen unserer Forschung hat sich gezeigt, dass bei einigen KMU die Nutzung der Informations- und Unterstützungsnetzwerke von lokal benachbarten Unternehmen sowie von Unternehmen aus derselben Branche Teil der eigenen Sicherheitspraxis ist. Diese hat in der Vergangenheit maßgeblich zur erfolgreichen Bewältigung von Krisen beigetragen. Um KMU bei der Bewältigung von Krisensituationen zu unterstützen, entwickeln wir im Projekt derzeit eine integrierte Plattform. Diese dokumentiert und meldet nicht nur Ausfälle von Maschinen, Probleme bei Zulieferern, Wetter- und Verkehrswarnungen und ähnliches, sondern stellt auch stets aktuelle und übersichtliche Alarm- und Notfallpläne für die einzelnen Bereiche eines jeweiligen Unternehmens – digital und analog – bereit.

Im Frühjahr 2020 haben Sie mit Blick auf die Corona-Pandemie eine deutschlandweite Befragung zur Notbevorratung der Bevölkerung durchgeführt. Welche Erkenntnisse konnten Sie hier gewinnen?

Deutlich wurde, dass das Risikobewusstsein der befragten Personen vor der Corona-Pandemie eher gering ausgeprägt war und die Menschen von sehr kurzfristigen Krisenereignissen ausgingen. Seit März 2020 hat sich das Bewusstsein für Krisen und auch bestimmte Abhängigkeiten, zum Beispiel die Zulieferung von Medikamenten und medizinischer Ausstattung aus China, erhöht. In unserer Befragung haben sich mit Blick auf die Einkaufsgewohnheiten bislang eher kurzfristige Verhaltensanpassungen gezeigt. Zum Beispiel kaufen viele Menschen seit Beginn der Krise seltener, dafür aber überlegter und auch mehr länger haltbare Lebensmittel ein. Im Projekt interessiert uns insbesondere die längerfristige Perspektive: Um in einer Krisensituation nicht in Panik zu verfallen, ist es maßgeblich zu wissen, wie man selbst mit so einer Situation umgehen kann. Informations- und Aufklärungsangebote zur Notvorsorge für Krisen, wie sie zum Beispiel vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) bereitgestellt werden, können dafür sehr hilfreich sein und sollten aus unserer Sicht stärker im Alltag verankert werden.

Im Projekt erforschen Sie auch, welche Rolle soziale Medien als Informationsquelle und Mittel zur Selbstorganisation der Menschen in Notsituationen spielen. Welche Erkenntnisse konnten Sie hierzu bislang gewinnen?

Sogenannte ungebundene Helfer, also Privatpersonen, die nicht zu den professionellen Einsatzkräften gehören, bevorzugen in Notlagen für verschiedene Aktivitäten unterschiedliche Plattformen: Für die Freiwilligenhilfe, aber auch die Koordination von Sachspenden und zur emotionalen Unterstützung in Krisensituationen werden eher Community-Plattformen wie zum Beispiel Facebook genutzt, wohingegen auf Mikroblogging-Diensten wie Twitter Alarmmeldungen und Statusupdates zur gegenwärtigen Situation veröffentlicht werden. Als Informationsquelle sind allerdings nach wie vor auch die traditionellen Medien nicht zu unterschätzen. In unserer Befragung der Siegener Bevölkerung von 2019 erreichte der lokale Radiosender mit 84% die größte Reichweite und stellte aus Sicht der Teilnehmenden das bevorzugte Medium für eine aktuelle, zuverlässige Informationsgewinnung dar.

Durch die Corona-Krise nutzen viele Menschen in ihrer Arbeit und Freizeit digitale Kommunikationsmittel intensiver als zuvor. Entstehen aus dieser Entwicklung aus Ihrer Sicht neue Chancen und Risiken für die Bewältigung potentieller Katastrophenlagen in der Zukunft?

In Krisensituationen ist eine schnelle Information der Zivilbevölkerung zentral. Hier kann digitale IKT sehr hilfreich sein, was sich in den letzten Monaten durchaus bereits bestätigt hat. Allerdings darf man nicht vergessen, dass nicht alle Menschen beziehungsweise Bevölkerungsgruppen Zugriff auf digitale Technik haben und manche Menschen dies auch nicht wünschen. Erfolgreiches Krisenmanagement sollte daher stets modular aufgebaut sein und einseitige Abhängigkeiten vermeiden. Auch weil uns Strom- und IKT-Ausfälle sehr schnell die Grenzen der digitalen Kommunikation vor Augen führen können, sollten wir analoge Kommunikationswege nicht aus den Augen verlieren.

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